Aletsch Glacier Tim Barnett c

Es soll nicht nostalgisch klingen, aber wenn man auf dem Eggishorngrat über dem Aletschgletscher steht, spürt man es unweigerlich: eine Landschaft im Rückzug, Zeuge des Klimawandels. Jahrzehntelang lockte dieser Gletscher – der größte der Alpen – Wanderer, Skitourengeher, Gleitschirmflieger und Trailrunner in seine Weite. Doch heute schrumpft er schneller denn je. Trotz unzähliger Reportagen, Dokumentationen und Instagram-Videos über den Aletschrückgang nehmen Tempo und Ausmaß des Rückgangs immer weiter zu. Und für diejenigen, die sich aus eigener Kraft im Hochgebirge bewegen, wird er zu einem ganz anderen Spielplatz.

Aus der Luft wirkt der Aletsch noch immer monumental – eine gefrorene weiße Zunge, die sich 22 Kilometer von der Jungfrau hinunter erstreckt. Doch zu Fuß oder auf Skiern offenbart er seine Wunden. Moränen markieren, wo das Eis noch vor Jahrzehnten stand. Schmelzwasserrinnen durchziehen frisch freigelegtes Geröll. Im Sommer 2025 schrumpfte der Gletscher um fast drei Meter – ein Muster, das sich in den Alpen wiederholt.

Für Trailrunner und Skibergsteiger bedeutet dies mehr als nur Ästhetik. Klassische Gletscherzustiege wie die Konkordiaplatz-Runde oder die Märjelensee-Rundwege sind nun mit neu freigelegten Geröllfeldern und fragilen Permafrosthängen durchzogen. Die einst vorhersehbaren Frühjahrsabfahrten vom Jungfraujoch erfordern frühere Starts und eine andere Routenfindung, da sich Gletscherspalten weiter öffnen und Schneebrücken Wochen vor dem üblichen Schmelzzeitpunkt einstürzen.

Laufen entlang der Abwesenheit

Einige der schönsten Trails der Alpen schmiegen sich an die Flanken des schrumpfenden Aletschgebirges – wie die Strecke vom Bettmerhorn zum Märjelensee, die nun neben einem Graben verläuft, wo einst der Gletscher auf den Alpensee traf. Trailläufe wie der Aletsch-Halbmarathon ziehen zwar noch immer Tausende an, doch der Gletscher, der einst jedes Foto schmückte, ist so weit zurückgegangen, dass Läufer ihn stellenweise gar nicht mehr sehen.

Outdoor-Sportler passen sich an – und engagieren sich auch. Im September 2024 errichtete eine Gruppe Schweizer Bergläufer eine symbolische Startlinie dort, wo der Gletscher 1990 endete. Das Ziel befand sich 2,1 Kilometer talabwärts und markierte damit seinen Endpunkt im Jahr 2024. Es war kein Rennen, sondern eine Mahnwache.

Gleitschirmfliegen in der Thermik des Wandels

Auch die thermischen Veränderungen über dem Gletscher verändern sich. Gleitschirmflieger, die früher entlang stabiler Hebungslinien flogen, berichten heute von mehr Turbulenzen, insbesondere im Spätsommer. Der Eisverlust bedeutet mehr freiliegendes Gestein und frühere Erwärmung – was zu ungleichmäßigen Luftströmungen führt. Einige Starts in der Nähe von Riederalp und Belalp verzeichneten weniger Flugtage oder erforderten Zeitverschiebungen.

„Ich brauche jetzt nicht nur Wind – ich brauche den richtigen Sonnenstand an Moränenhängen“, sagte ein Pilot aus dem Oberwallis. „Hier zu fliegen ist wie Schach mit dem Klima zu spielen.“

Der vergessene Gletscher: Rhones Verschwinden

Weiter westlich, oberhalb des Furkapasses, bietet der Rhonegletscher ein ernüchterndes Gegenstück. In den 1980er Jahren stürzte seine Gletscherfront dramatisch eine Klippe unterhalb der Passstraße hinab – sichtbar von Hotelbalkonen und Postkarten. Heute hat er sich so weit in sein eigenes Kar zurückgezogen, dass Touristen des historischen Hotels Belvédère wandern müssen, um ihn zu sehen.

Ein zunehmend verzweifelter Versuch, die Touristenattraktion zu erhalten, führte zum Bau einer zeltüberdachten Eisgrotte – eines in den Gletscher gehauenen Tunnels, der unter weißem Vlies Schatten spendet, um das Schmelzen zu verlangsamen. Der Versuch ist poetisch und erbärmlich zugleich: eine kleine Geste gegen einen riesigen, unumkehrbaren Trend.

Für Skitourengeher, die früher vom Rhonegletscher zum Galenstock abstiegen, sind die Routen felsig und ungeschützt geworden. Die Eisübergänge haben sich verlängert. Einige Bergführer weisen ihre Gäste nun darauf hin, dass die klassische Abfahrt im Hochsommer nicht mehr empfehlenswert sei.

Die schrumpfende Grenze

Die Alpen wurden schon immer von Gletscherbewegungen geprägt. Neu ist das Tempo – und die Folgen für diejenigen, die auf festen Untergrund angewiesen sind. Berghütten, einst neben Eis errichtet, thronen heute unbeholfen über zurückweichenden Felswänden. Die Aufstiegsleitern werden mit jeder Saison länger. Die Finsteraarhornhütte, einst ein leichter Aufstieg vom Aletschgebirge, erfordert heute das Überwinden neuer Moränen und instabiler Schotterrampen.

Und doch ist die Anziehungskraft dieser Orte auf die Menschen ungebrochen. Ultraläufer umrunden nach wie vor den Oberaletsch, Bergsteiger erklimmen das Gross Grünhorn und Gleitschirmpiloten starten nach wie vor über dem Konkordiaplatz. Vielleicht, weil die alpine Sportkultur, wie die Gletscher selbst, auch in schwierigen Zeiten Bestand hat.

Vom Beobachten zum Handeln

Athleten und Abenteurer nutzen ihre Plattformen zunehmend, um sich für die Umwelt einzusetzen. Trailrennen sind mittlerweile eine CO2-kompensierende Logistik. Gleitschirmverbände finanzieren Gletschermessstationen. Ein kleiner Skitourenanbieter aus dem Wallis hat kürzlich zwei Prozent seines Gewinns für die Hochgebirgsforschung bereitgestellt. Selbst Tourismusverbände, die lange Zeit skeptisch gegenüber Klimabotschaften waren, bieten nun Lehrwanderungen an, die den Gletscherschwund im Laufe der Zeit veranschaulichen.

Die Botschaft wandelt sich von Klage zu Reaktion. Es geht nicht nur darum, das Eis zu betrauern, sondern zu lernen, sich in einer tauenden Welt anders zu bewegen. In diesem Sommer, als die Gefriergrenze in den Alpen erstmals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen die 5.000-Meter-Marke überschritt, hielten selbst erfahrene Bergführer inne. Eine Null-Grad-Grenze über dem Mont-Blanc-Gipfel ist nicht nur selten – sie ist surreal.

Persönliche Erinnerung als Dokumentation

Wer jahrzehntelange Bergerfahrung hat, trägt eine Art mündliches Archiv in sich. Als ich den Rhonegletscher zum ersten Mal sah, war er hörbar, bevor man ihn sehen konnte – sein Knarren und Knacken neben der Furkastraße. Heute ist die Stille ohrenbetäubend. Fotos, die von derselben Stelle aus aufgenommen wurden, zeigen nun nackten Fels und ein mit Kies übersätes Becken. Es ist eine Art Trauer, aber auch ein Aufruf, Zeugnis abzulegen.

Wer schon einmal mit dem Gleitschirm vom Bettmerhorn geflogen ist, den Grat zum Eggishorn erklommen oder an einem Frühlingsmorgen den Aletschfirn mit Skiern befahren hat, kennt die Anziehungskraft dieser Landschaft. Diese Anziehungskraft geht nun mit Verantwortung einher: zu sprechen, zu handeln, sich anzupassen.

Ressourcen

Schweizer Gletscherbeobachtungsnetzwerk – GLAMOS

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